Material Informatik

Rechnen in Materialien

Stefan Bosse
Universität Bremen, Fachbereich Informatik, Bremen, Germany
29.4.2020
sbosse@uni-bremen.de

Überblick


1. Überblick
2. Das Internet der Dinge und Sensorische Materialien
3. Eingebettete Systeme und Datenverarbeitung
4. Zusammenfassung

Das Internet der Dinge und Sensorische Materialien

Grundlagen und Anwendungen

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Eingebettete Systeme und Datenverarbeitung

Rechnerarchitektur - klassisch sequenziell!

Von-Neumann/Harvard Rechner

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Fig. 1. Computersystemarchitekturen. Implementierungsebenen kommunizieren vertikal über die gezeigten Schnittstellen. (Nach Glenford Myers, 1982) [A]

Rechnerarchitektur - zukünftig verteilt/parallel!

Zellulärer Automat

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Fig. 2. Zellulärer Automat

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Bedeutung:

  1. Rechnen in Materialien (Verteilte Datenverarbeitung in Materialien)
  2. Rechnen von Materialien (Data Science, KI, .., um neue Materialien zu entwickeln)
  • Normalerweise wird die Berechnung von Sensorerfassung und Steuerung getrennt

  • Smarte Materialien stellen die enge Verbindung zwischen

    • Berechnung,
    • Kommunikation,
    • Sensorerfassung und
    • Steuerung mit lose gekoppelten Nano-Computern dar.

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  • Algorithmische Skalierung und Verteilung sind erforderlich

    • Verteilte Systeme können als eine große Maschine behandelt werden
  • Mooresches Gesetz sagte starke Miniaturisierung voraus

  • Jedoch die Informatik und deren Methoden konnten nicht immer folgen → Lücke zwischen Hardware und Software

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Eine normalisierte Recheneffizienz eines Computers (nur unter Berücksichtigung der Datenverarbeitungseinheit) kann definiert werden durch:

\[\epsilon_C = \frac {C}{AP}
\]
A

Chipfläche in mm2

C

Rechenleistung in Mega Instructions per Second (MIPS) - oder besser in Kilo Dhrystones/s (KDS)!

P

Elektrische Leistungsaufnahme in W

Die Recheneffizienz kann verwendet werden, um verschiedene Computer und Geräte zu vergleichen, d.h. einen Skalierungsfaktor anzugeben:

\[s = \frac{\epsilon_1}{\epsilon_2}
\]

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  • Neben der reinen Rechenleistung sind noch Speicher und Kommunikationsfähigkeit einer Rechneranlage wichtige Kenngrößen, so dass sich zwei weitere normierte Recheneffizienzen ergeben:
\[\epsilon_{CM} = \frac {CM}{AP}
\]
\[\epsilon_{CMD} = \frac {CMD}{AP}
\]
M

Gesamter Speicher in Mega Bytes (MB), beinhaltet RAM, ROM, Register

D

Gesamte Kommunikationsfähigkeit als Datendurchsatz (Mega Bit/s)!

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Maßzahlen der Rechenleistung

  • Einfachste Maßzahl ist die Anzahl der Integer- oder Fliesskommaoperationen pro Zeiteinheit (MIPS/FLOPS)

    • Aber nur der eigentliche Kern des Mikroprozessors wird dabei erfasst - Speicher, Speicherhierarchie und Kommunikationsfähigkeit fehlen
  • Ein Programm besteht i.A. aus den folgenden High-level Operationen:

    • Berechnung (skalar, vektoriell)
    • Speicherallokation, Objekterzeugung (Code und Daten)
    • Funktionsaufrufe
    • Erzeugung, Zugriff, und Freigabe verschiedener Objekte mit unterschiedlichen “Speicherabdruck”: Arrays, Strings, Records, Funktionen, Methodische Objekte mit Prototypen (Klassen)

⇒ Dhrystone Benchmark umfasst alle oben genannten Operationen!

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Chip Fläche

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Fig. 3. Normierte Maßzahlen für die Chip Fläche (A/rbe) [H]

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Chip Fläche

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Fig. 4. Normierte Maßzahlen für die Chip Fläche von Speicher (A/rbe) [H]

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Chip Fläche

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Fig. 5. Normierte Maßzahlen für die Chip Fläche von Prozessoren (A/rbe) [H]

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Chip Fläche

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Fig. 6. Normierte Maßzahlen für die Chip Fläche von FPGAs (A/rbe) [H]

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Fig. 7. Zusammenhang der Technologiegröße f (Fertigungsauflösung/Transistordimension) mit der normierten Fläche A [H]

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  • Hitachi entwickelte bereits 2006 einen 0.15 x 0.15 Millimeter großen, 7.5 μm dicken Microchip der:
    • Drahtlose Kommunikation und Energieversorgung via RFID → (2.45 GHz Mikrowelle) ermöglichtet, einen
    • 128 Bit ROM Speicher, und einen
    • einfachen Mikroprozessor enthielt.

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Fig. 8. Es geht noch kleiner → Smart Dust reloaded (by Hitachi)

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Aufgabe

  1. Mache eigene Messungen mit dem dhrstone benchmark Test auf verschiedenen Rechnern und Virtuellen Maschinen.

  2. Stelle eine Tabelle zusammen mit gängigen Computern (mobil, Desktop, Server, eingebettete Rechner, Nanorechner) mit den Daten MIPS/DPS, Speicher, Kommunikation (abgeschätzt) sowie Chip Fläche und el. Leistungsbedarf

  3. Berechne die verschiedenen ε Parameter und vergleiche …

Entwurf Eingebetteter Systeme

Softwareentwurf

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Fig. 9. Entwurfsebenen von Eingebetteten Systemen auf Softwareebene

Entwurf Eingebetteter Systeme

Hardwareentwurf

  • Der Entwurf Eingebetteter Systeme geht immer mehr Richtung Hardware-Software Co-Design und System-on-Chip Architekturen

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Fig. 10. Entwurfsebenen von Eingebetteten Systemen auf Hardwareebene

Rechnertechnologien

Existierende “Nano”-Computer:

  • Smart Dust → Vision Millionen lose gekoppelter Nano-Computer
    • Eingebettet in Materialien
    • Auf Oberflächen verstreut
    • Dispergiert in Flüssigkeiten, Folien, ..
    • ungefähr 10mm3 Volumen

Micro Mote M3

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ELM System

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Rechnertechnologien

Existierende Kleinstrechner für Sensornetzwerke mit Drahtloskommunikation (WLAN, Bluetooth)

Raspberry PI Zero

  • 32-bit RISC ARM Prozessor
  • 512MB RAM, 16GB ROM
  • 1W
  • 70x30mm

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ESP8266

  • 32-bit RISC Tensilica Xtensa Diamond Standard
  • 128kB RAM, 16MB ROM
  • 0.15W
  • 30x20 mm figesp8266

Rechnertechnologien

Micro Mote (M3 ) ELM System Atmel Tiny 20 Freescale KL03 ARM Cortex Smart Phone
Processor Arm Cortex M0 C8051F990 (SL) AVR Arm Cotex M0+ Arm Cortex A9
Clock 740kHz max. 32kHz - 48MHz 1GHz
CPU Chip Area 0.1mm2 9mm2 1mm2 4mm2 7mm2/ROM
Sensors Temperature - - - Temp, Light, Sound, Accel., Press., Magn.
Communication 900MHz radio, optical optical electrical - 3G/4G, WLAN, USB, Bluetooth, NFC
Harvester, Battery Solar cell, Thin film Solar cell, Coin - - -
Power Consumption 70mW / CPU 160mW / CPU 20mW 3mW @ 48MHz 100mW avg.,
Manufacturing 180nm CMOS - - - 40nm CMOS
Package Wire bonded Silicon Stack PCB Single Chip Single Chip
Computing Eff. εC 150 0.02 0.6 4.0 0.53

Rechnertechnologien

Smart Dust (2000)

  • Kommunikation: Optisch, Laser, LED
  • Energieversorgung: Optisch, Fotozelle
  • Energiespeicher: Dünnfilmbatterie
  • Sensorik: Temperatur, Licht

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Fig. 11. Aufbau einer Smart Dust Mote [Smart Dust: Warneke et al., 2001]

Rechnertechnologien

Medizinische Implantate (2011)

  • University of Michigan (abgeleitet von M3 micro mote Architektur)
  • f=100kHz, M=1kB, A=0.1mm2, Drucksensor, hybrider Aufbau, Dünnfilmbatterie, Solarzelle, Kommunikation (kurzreichweitig <10 cm)

    (https://www.tested.com/tech/photography/1908-this-sensor-is-actually-a-tiny-computer-for-your-eyeball)

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Algorithmen

  • Zurück zu den Algorithmen: Wenn pro Rechnerzelle weniger als !MIPS Rechenleistung und weniger als 1kB Speicher zur Verfügung steht müssen sich die Alogorithmen und Konzepte ändern → Algorithmische Skalierung

  • Verwendung der eingangs eingeführten Zellulärer Automaten als verteilte Rechneranlage!

  • Die Rechnerzellen arbeiten dabei direkt auf den Sensordaten und führen einfachste Berechnungen mit Nachbardaten aus

Beispiel: Bildverarbeitung auf ZA

  • Die einzelnen Pixel des Bilds (Sensoren) sind den Zellenrechnern zugeordnet
  • Typische Operationen: Rauschunterdückung, Kantenfilter, Histogrammberechnung usw.
  • Eine Zelle verändert immer nur seinen eigenen Datenwert durch Anwendung einfacher Regeln der Menge Φ mit Nachbarzellendaten

Algorithmen

Das Problem: Anders als bei klassischen Algorithmen sind diese Regeln nicht bekannt! Diese Transformationsregeln werden daher häufig gelernt (d.h. die geeigneten Regeln z.B. für Kantentendetektion aus der Menge aller möglichen Kombination von Pixeloperationen ausgewählt)

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Fig. 12. Alle 51 möglichen Muster (Regeln) damit ein Pixel seinen Wert (binär, SW Bild) invertiert (Mooresche Nachbarschaft mit 8 Nachbarn); gezeigt sind nur zentrale schwarze Pixel, durch Invertierung weitere 52 Regeln für weiße Pixel[Rosin,2002]

Algorithmen

Rauschunterdrückung

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Fig. 13. Rauschunterdückung durch einen binären ZA: (a) Originalbild (b) Verrauschtes Bild (c) Entrauschtes Bild mit dem unten gezeigten Regelsatz [Rosin,2002]

Algorithmen

Kantendetektion

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Fig. 14. Kantendetektion (oben,links) Originalbild (oben,rechts) Konv. Alg. (unten, links) CA - ein Zyklus ZA (unten rechts) zwei Zyklen CA [Rosin,2002]

Zusammenfassung

  • Sensorische Materialien für die materialintegrierte Schadendsdetektion benötigen neue Konzepte der Datenverarbeitung

  • Es gibt Ähnlichkeiten zu dem Internet der Dinge

  • Sensorische Materialien können zusammen mit dem IoT in Cloud Umgebungen zusammengefasst werden

  • Verteilte Datenverarbeitung ist der einzige Weg für skalierbare Sensornetzwerke mit Millionen von Kleinstrechnern

  • Zelluläre Automaten (obwohl schon lange bekannt) bieten einen Lösungsansatz